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Stress in der Schwangerschaft beschleunigt das Wachstum und hemmt die motorische Entwicklung ungeborener Affen

Erstmals untersuchten Verhaltensökologen in freier Wildbahn den Einfluss von mütterlichem Stress auf Affenbabys.
Im immergrünen Bergwald Thailands wird ein Assammakakenjunges von der Mutter gesäugt. Foto: Andreas Berghänel
Julia Ostner, Professorin an der Universität Göttingen und am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung, leitet die Forschungsstation Phu Khieo in Thailand und forscht dort an Assammakaken. Foto: Ingo Bulla
Julia Ostner, Professorin an der Universität Göttingen und am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung, leitet die Forschungsstation Phu Khieo in Thailand und forscht dort an Assammakaken. Foto: Ingo Bulla
Zwei junge Assammakaken im nordöstlichen Bergwald Thailands. Foto: Kittisak Srithorn
Zwei junge Assammakaken im nordöstlichen Bergwald Thailands. Foto: Kittisak Srithorn
Dem säugenden Assammakakenjungen wird gleichzeitig das Fell gepflegt. Foto: Kittisak Srithorn
Dem säugenden Assammakakenjungen wird gleichzeitig das Fell gepflegt. Foto: Kittisak Srithorn

Forscher des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) und der Universität Göttingen folgten an ihrer Feldstation in Thailand Affenmüttern durch die Schwangerschaft und deren Jungen über ihre ersten anderthalb Lebensjahre. Die Nachkommen von durch Nahrungsknappheit gestressten Müttern wuchsen schneller als ihre Altersgenossen, bezahlten dies aber mit einer langsameren Entwicklung ihrer motorischen Fähigkeiten und wohl auch mit einem geschwächten Immunsystem. Dies ist die erste Studie zu den Auswirkungen von vorgeburtlichem Stress bei einem langlebigen Säugetier in seinem natürlichen Lebensraum. Die Ergebnisse unterstützen die Theorie, dass gestresste Mütter ihr Ungeborenes auf einen alternativen Lebensweg schicken (Proceedings of the Royal Society B 20161304).

Das Wissen um den oft sehr langfristigen Einfluss von mütterlichem Stress auf das Ungeborene ist schon alt. Mediziner und Biologen diskutieren aber noch, ob diese mütterliche Einflussnahme generell als Pathologie zu verstehen ist, oder ob sie vielmehr als ein evolvierter Anpassungsmechanismus zu begreifen ist. Können also Mütter ihren Nachwuchs im Uterus so umprogrammieren, dass er später besser dasteht? 

Untersuchungen an kurzlebigen Säugern wie Ratten stützen diese These, denn bei ihnen ist die Umwelt, in der die Mutter die Jungen austrägt, der Umwelt, in der die Jungen sich schon mit wenigen Monaten fortpflanzen werden, sehr ähnlich. Die neue Studie legt nun nahe, dass Stresseffekte in der Schwangerschaft auch bei langlebigen Affen auftreten. Der physiologische Stress, der durch einen natürlich vorkommenden Nahrungsmangel zustande kam, schien bei den jungen Makaken ein beschleunigtes Wachstum hervorzurufen. Das ergab die Zusammenschau von Daten zum Fruchtverhalten der wichtigsten Nahrungsbäume, den aus Kot ermittelten Hormonspiegeln der Mütter und den aus vielen hundert Fotos ermittelten Wachstumskurven junger Assam-Makaken im nordöstlichen Bergwald Thailands. 

Das Wachstum von Säugern steht in der Regel in engem Zusammenhang mit wichtigen Meilensteinen der Entwicklung. Der Erstautor der Studie, Andreas Berghänel, erklärt: „Eine verkürzte Lebenserwartung durch vorgeburtliche Entwicklungsstörungen führt hier zu einem beschleunigten Lebenszyklus. Der Nachwuchs wächst schneller und wird schneller geschlechtsreif, um selbst früher und schneller Nachwuchs zu erzeugen.“ Auch beim Menschen findet sich im Zusammenhang mit einer gestörten Frühentwicklung häufig eine vorverlagerte Geschlechtsreife. Julia Ostner, die Leiterin des Feldprojektes, ist trotzdem überrascht: „Die Beschleunigung des Lebenszyklus ist erstaunlich. Wir hatten eher damit gerechnet, dass die schlechten Bedingungen während der Tragzeit ausschließlich negative Folgen für die Jungen haben.“ 

Und tatsächlich ist das beschleunigte Wachstum nur eine der Folgen von verringerter Nahrungsverfügbarkeit und erhöhten Glucocorticoidspiegeln, denn Junge, die diesen Bedingungen ausgesetzt waren, zeigten auch eine verzögerte motorische Entwicklung, lernten später als ihre Altersgenossen, an einem Bein von einem Ast zu baumeln, rückwärts zu hüpfen oder im Kronendach des Waldes mindestens fünf Meter weit zu springen. Als unter den Affen eine Bindehautentzündung ausbrach, waren deren äußerliche Zeichen bei den Jungen umso länger zu sehen, je stressiger die Schwangerschaft ihrer Mütter war. So scheint auch das Immunsystem negativ beeinträchtigt zu sein. 

Es bleibt offen, ob auch die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt sind. In weiterführenden Untersuchungen soll in den kommenden Jahren geklärt werden, ob negative vorgeburtliche Umwelteinflüsse die Fortpflanzungsrate der Makaken erhöhen und die Langlebigkeit reduzieren, wie es die Hypothese der internen adaptiven Antwort vorhersagt.         

Originalpublikation:

Andreas Berghänel, Michael Heistermann, Oliver Schülke and Julia Ostner (2016): Prenatal stress effects in a wild, long-lived primate: predictive adaptive responses in an unpredictable environment. Proceedings of the Royal Society B 20161304. dx.doi.org/10.1098/rspb.2016.1304